Prolog
Die Idee zu der beiliegenden SF-Kurzgeschichte kam mir Anfang August 1999 plötzlich während meiner stillen Zeit. Ich war von dem Gedanken so fasziniert, dass ich mich entschloss, sie niederzuschreiben. Dann erst begriff ich das Ausmaß, und ich dachte, ich dürfe dies nicht allein für mich behalten.
Zunächst hatte ich diese Zeilen einem Verlag angeboten, ohne zu wissen, wie man so etwas überhaupt macht. Und da ich gerne anonym bleiben wollte, ist aus diesem Vorhaben auch leider nichts geworden.
Inzwischen ist aber das Internet zu einem riesigen Forum herangewachsen, so dass es jetzt für mich leicht erscheint, meine damaligen Gedanken öffentlich zu machen.
Copyright-Vermerk:
Alle in dieser Geschichte außerbiblischen Charaktere und Handlungen sind von mir frei erfunden. Jegliche Ähnlichkeit mit Darstellungen anderer SF-Romane wären also rein zufällig. Ich selbst gebe die Rechte an dieser Geschichte frei, was das Kopieren und die Verbreitung betrifft. Lediglich der Inhalt sollte nicht verändert werden.
Hasso Taler
(Pseudonym)
ER ist noch größer
Lautlos glitt die Vendania dahin. Mit ihrem fast 50 km³ großen Rauminhalt war sie das derzeit größte künstliche Objekt in dem inzwischen erschlossenen Sektor unserer Milchstraße. Mehr als 10 Jahre lang hatten Menschen und Kerdonen zusammen an diesem gigantischen Raumfrachter gebaut. Dabei waren die unterschiedlichsten Techniken zusammengeflossen, was nicht immer ohne Komplikationen einhergegangen war.
Auch war die Verständigung der beiden Sternenvölker trotz der hochentwickelten Übersetzungscomputer nicht immer reibungslos verlaufen. Denn so sehr sie sich auch in ihrem äußeren Erscheinungsbild unterscheiden, haben sie doch einige Charakterzüge gemeinsam: Beide Arten sind mit einer gehörigen Portion Aggressivität ausgestattet, und sie können - je nach individueller Ausprägung - jeweils auch verdammt stur sein. Und das, obwohl die Kerdonen reine Vegetarier sind.
Ich betone das, weil ich weiß, dass namhafte Wissenschaftler der vergangenen Jahrhunderte auf unserer Erde immer wieder betont hatten, unsere Aggressivität wäre eine Folge unseres Fleischverzehrs, weil man an Fleisch nicht ohne zu töten herankommen kann, und um töten zu können, wäre ein gewisses Maß an Aggressivität unumgänglich. Na ja, ich denke, auf unserer Erde gab und gibt es auch aggressive Vegetarier...
Da fällt mir ein: Ich habe mich ja noch gar nicht vorgestellt. Mein Name ist Alexander Wanderer - Freunde nennen mich Lex -, und ich war damals, d.h. im Mai 2643, seit gut einem halben Jahr als zweiter Bordingenieur auf der Vendania. Über meinen Namen hatte man schon so einige Reime gemacht, und nicht alle waren immer schmeichelhaft gewesen. Aber ich hatte inzwischen gelernt, damit zu leben.
Ich hatte gerade im Frachtraum 314 einen Energiekonverter repariert und war auf dem Rückweg zum Konsolenraum, wo mich der erste Bordingenieur bereits erwartete. Er - besser gesagt sie war Kerdonin und hieß Carry Kit. Sie war von Anfang an auf der Vendania und hatte bereits während des Baus mitgearbeitet. Man konnte mit Recht behaupten, dass niemand an Bord den Frachter besser kannte als sie.
Als ich eintrat, saß sie gerade vor dem Kontrollpult, dessen bunte Lichter sich in ihrem glänzenden weißen Fell brachen. Es war ein für mich immer wieder faszinierender Anblick. Irgendwie erinnerte sich mich an eine mit fast 2m zu groß geratene Angorakatze, nur dass deren Fellhaare wesentlich länger sind und - Katzen als Vegetarier waren bei uns auf der Erde wohl eher eine als krankhaft zu bezeichnende Ausnahmeerscheinung.
„Hallo Carry” , meldete ich mich zurück. „Der Energiekonverter ist wieder in Betrieb. Ich musste allerdings die Tardonröhre auswechseln. Sie war total schwarz.” Carry sah mich mit ihren grünen Spaltenaugen an. „Das gefällt mir nicht.”, sagte sie schließlich. „Das ist nun schon die vierte Röhre innerhalb von 2 Jahren. Möglicherweise gibt es doch noch einen konzeptionellen Fehler bei den Konvertern.” „Wir haben aber doch über 10000 Röhren im Einsatz.”, versuchte ich sie zu beruhigen. „Da kann das doch schon mal vorkommen.”
„Die
Ich setzte mich zu ihr, und wir fingen an, die Computerprojektionen der einzelnen Teilpläne zu studieren. Dabei murmelte Carry leise: „Lieber Perdon, bitte lass es gelingen!”. Laut sagte sie schließlich: „Gott hat die Gesetze der Thermodynamik für alle Planeten gleich gemacht. Es wäre doch gelacht, wenn wir da den Fehler nicht finden würden.”
Ich stutzte. „Von welchem Gott redest du?”, fragte ich etwas verunsichert. „Na, von dem Einen, dem lebendigen Gott natürlich, der das ganze Universum geschaffen hat, und der zu uns Kerdonen in Seinem Sohn Perdon Warser Seine Liebe offenbart hat!” Ihre Augen funkelten dabei plötzlich voller Eifer, so als ob sie auf einmal von einer großen Leidenschaft gepackt worden wäre. Ich war hingegen sprachlos. Carry war aber nun nicht mehr zu bremsen:
„Pass auf! Wir Kerdonen sind ja, wie du weißt, mitunter recht stur. Und wenn wir uns mal was in den Kopf gesetzt haben, dann ziehen wir das auch durch - ohne Rücksicht auf Verluste, wie ihr das auf der Erde immer so schön ausdrückt. Aber Gott wäre ja nicht Gott, wenn er uns nicht immer wieder ersucht hätte, doch wieder auf Seinen Pfaden zu wandeln. Dazu benutzte ER auch immer wieder ausgesuchte Kerdonen, die ER zu Seinen Sehern machte. Diese Seher hatten die durchaus leidvolle Aufgabe, dem Volk Gottes Willen und Weisungen kundzutun. Nicht selten wurden sie dafür anschließend umgebracht.”
Wie kam mir das alles bekannt vor! Und ich weiß nicht warum, aber ich fragte sie: „Hat Gott bei euch Kerdonen auch so etwas wie ein auserwähltes Volk oder eine Sippe?”. Diesmal war Carry sprachlos. Übrigens war das das erste, und wenn ich mich richtig erinnere, auch das einzige Mal. Und als sie weiterhin nichts sagte, begann ich ihr - soweit ich das aus meinem damals spärlichen Gedächtnis aus der Bibel noch wusste - von Gottes Geschichte auf der Erde mit seinem Volk Israel, angefangen von Abraham, Isaak, Jakob und Josef über Mose und Josua bis hin zum König Saul zu erzählen.
Gerade war ich bei der im wahrsten Sinne des Wortes umwerfenden Geschichte von David und Goliath angelangt, da unterbrach mich Carry mit einem seltsamen Glitzern in den Augen - Tränen, wie mir später klar wurde: „Lass mich weiter erzählen! Dieser David hatte keine Angst vor dem riesigen Goliath, weil er Gott auf seiner Seite wusste und hat ihn kurzerhand mit einem Wehrnhalm zur Strecke gebracht. Stimmt’s?” „Beinahe, nur war es kein Wehrnhalm - ich weiß auch gar nicht, was das ist -, sondern eine Steinschleuder. Ein kleiner Stein, von David auf den Weg gebracht und von Gott gelenkt, traf den Riesen genau an die Stirn, dass der tot umfiel.”
Eine Weile sahen wir uns schweigend an. Dann sagte Carry: „Ähnliches steht auch in unserem heiligen Buch geschrieben. Gottes auserwählter Stamm auf Kerdon waren und sind noch immer die Velaren. Auch sie haben einen von Gott erwählten Urvater namens Telan, der später Telonis hieß. Wenn ich dich richtig verstanden habe, Lex, dann hieß euer Abraham am Anfang auch erst Abram. Und wie war das noch mal mit Israel? Wie kam der Name zustande?” „Diesen Namen hatte Gott dem Jakob gegeben, nachdem der mit Ihm gekämpft und um Seinen Segen gerungen hatte. Israel bedeutet so viel wie Gottesstreiter.”
„Seltsam,” sagte Carry, „wenn Gott sich einen besonderen Kerdonen oder auch Menschen ausgesucht hatte, dann gab ER ihm wohl auch immer einen neuen Namen. Einen Namen meine ich, der auf die neu entstandene Verbindung mit Gott hinweisen sollte.” „Es waren danach ja auch verwandelte Menschen - oder Kerdonen”, ergänzte ich.
„Gott ist noch größer, als ich dachte”, sagte Carry nach einer Weile. „Nachdem ER so wunderschöne Planeten wie unsere Kerdon oder eure Erde geschaffen und sie bevölkert hatte, begann ER jeweils mit einzelnen Seinen Heilsweg mit dem Ziel, dass schließlich alle das Heil erlangen sollten. Aber wir auf Kerdon waren ja immer wieder stur - allen voran die Velaren. Und so kam es auch immer wieder zu Kriegen, zu Vertreibung und unzähligen Opfern. Dabei waren das Opfer, die Gott gar nicht gefielen. Ihm war es inzwischen zuwider, dass das Volk sich nicht mehr um Seine Regeln scherte und meinte, mit zwei Sack Getreide in den heiligen See geworfen wäre alles vergeben und vergessen. Der absolute Bruch zwischen Gott und Seinem Stamm schien unausweichlich.
Doch dann geschah das schier unfassbare, dieses einzigartige einmalige Ereignis: Gott kam zu uns auf Kerdon, wurde Kerdone wie wir. Er kam als kleines Baby, wuchs heran wie wir, und als ER mit 47 Jahren erwachsen war, sprach Gott Ihn als Seinen Sohn Perdon Warser an. Warser bedeutet soviel wie mit dem Wankoblatt gekrönte. Wankoblätter sind selten auf Kerdon und sehr kostbar. Man nahm sie immer nur, um einen Stammesfürsten in sein Amt einzuführen, indem man ihm ein solches Blatt auf den Kopf legte. Somit wurde also auch Perdon von Gott selbst als Fürst eingeführt.
Nur war das kein Fürst, wie ihn sich die Velaren vorgestellt hatten. Statt mit dem Kertok in der Faust gegen die Feinde zu ziehen, erzählte ER ihnen von Gottes Liebe, sagte ihnen, sie sollten sogar ihre Feinde lieben. ER machte Kranke gesund. Nichts schien ihm dahingehend unmöglich. ER ging aber auch mit den falschen Sehern ins Gericht, die sich inzwischen zu Meistern des Doppeldeutigen entwickelt hatten. Alle von Gott eingesetzten Regeln zum Wohle des ganzen Stammes hatten sie inzwischen so verbogen, dass nur noch ihr eigenes Wohl dabei herauskam.
Und als Perdon sie immer häufiger öffentlich zur Schau stellte und sie berechtigterweise um ihr Ansehen und vor allem um ihre Macht bangten, da haben sie ihn kurzerhand auf bestialische Weise im Stickwasser verenden lassen. Stickwasser ist auf Kerdon eine besonders eklige Flüssigkeit, in der sich keine freien Gasmoleküle halten können und somit auch keinerlei Sauerstoffaufnahme möglich ist. Bestialisch daran ist, dass der Erstickungstod sich über Stunden qualvoll hinzieht, und wenn der Prozess erst einmal begonnen hat, er auch nicht mehr rückgängig gemacht werden kann, selbst wenn man das Opfer wieder aus dem Stickwasser herauszieht. Denn das Fell ist dann bereits absolut luftundurchlässig geworden. So haben sie Perdon Warser umgebracht, obwohl ER ihnen doch nur Gutes tun und sie auf den richtigen Weg zurückbringen wollte. Aber ER hatte Seinen Tod vorausgesagt.”
„Nur gut,” sagte ich, „dass Gott Ihn nach drei Tagen wieder auferweckt hat.” „Nach fünf Tagen” korrigierte Carry, „...aber... woher weißt du das? Du hattest doch bis eben noch nie etwas von Perdon Warser gehört!” „Von Perdon Warser nicht.”, bestätigte ich. „Aber von Jesus Christus, wie Gottes Sohn auf der Erde heißt. Ihn hatten die Schriftgelehrten des Volkes Israel aus ähnlichen Gründen an die Römer ausgeliefert, das waren damals die Besatzer. Und die Römer haben Gottes Sohn an ein Holzkreuz genagelt, an dem ER in einem stundenlangen Todeskampf starb. ER hatte es vorausgesagt. Aber nach drei Tagen wurde ER von Gott wieder auferweckt - als Erster zum ewigen Leben.
ER zeigte sich Seinen Jüngern, die das zunächst erst gar nicht fassen konnten, dann aber in einen unglaublichen Jubel einfielen und später es überall erzählen mussten, was Gott Großes getan hatte und warum es geschehen war. Viele der Jünger wurden deswegen später selbst umgebracht, doch die gute Nachricht von der endgültigen Erlösung durch Jesus Christus ließ sich nicht mehr aufhalten und hat inzwischen mehr als 2600 Jahre überdauert.”
„Das heißt doch,” sagte Carry ergriffen, „dass euer Jesus Christus und unser Perdon Warser ein und derselbe sind, oder?” „Das wird wohl so sein. Aber das bedeutet auch, dass Gott immer wieder bereit ist, sich für Seine Schöpfung selbst zu opfern, um sie zu bewahren... ER ist wahrhaftig noch viel größer!”